Carl Loewe  -  Lieder und Balladen

Hier können Sie die Gedichte der  CD   Loewe - Lieder und balladen  nachlesen.

Die Wandelnde Glocke, Gutmann und Gutweib, Graf Eberstein, Odins Meeresritt, Der späte Gast, Herr Oluf, Erlkönig, Prinz Eugen, Tom der Reimer, Die verfallene Mühle, Der Asra, Komm' herbei Tod, Der Wirtin Töchterlein, Der alte Goethe, Letzter Seufzer, Der selt'ne Beter, Das Wunder auf der Flucht, Die Überfahrt, Die Uhr 

Übersetzungen in andere Sprachen können Sie hier finden:
http://www.lieder.net/lieder/get_settings.html?ComposerId=1674
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J.W.v. Goethe
Die wandelnde Glocke


Es war ein Kind, das wollte nie
Zur Kirche sich bequemen,
Und Sonntags fand es stets ein Wie,
Den Weg ins Feld zu nehmen.

Die Mutter sprach: »Die Glocke tönt,
Und so ist dir's befohlen,
Und hast du dich nicht hingewöhnt,
Sie kommt und wird dich holen.«

Das Kind, es denkt: Die Glocke hängt
Da droben auf dem Stuhle.
Schon hat's den Weg ins Feld gelenkt,
Als lief' es aus der Schule.

Die Glocke, Glocke tönt nicht mehr,
Die Mutter hat gefackelt.
Doch welch ein Schrecken! Hinterher
Die Glocke kommt gewackelt.

Sie wackelt schnell, man glaubt es kaum;
Das arme Kind im Schrecken,
Es läuft, es kommt als wie im Traum:
Die Glocke wird es decken.

Doch nimmt es richtig seinen Husch,
Und mit gewandter Schnelle
Eilt es durch Anger, Feld und Busch
Zur Kirche, zur Kapelle.

Und jeden Sonn- und Feiertag
Gedenkt es an den Schaden,
Läßt durch den ersten Glockenschlag,
Nicht in Person sich laden.

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J.W. v. Goethe
Gutmann und Gutweib


Und morgen fällt St. Martins Fest,
Gutweib liebt ihren Mann;
Da knetet sie ihm Puddings ein
Und bäckt sie in der Pfann.

Im Bette liegen beide nun,
Da saust ein wilder West;
Und Gutmann spricht zur guten Frau:
»Du riegle die Türe fest.«

»Bin kaum erholt und halb erwarmt,
Wie käm ich da zu Ruh;
Und klapperte sie einhundert Jahr,
Ich riegelte sie nicht zu.«

Drauf eine Wette schlossen sie
Ganz leise sich ins Ohr:
So wer das erste Wörtlein spräch',
Der schöbe den Riegel vor.

Zwei Wanderer kommen um Mitternacht
Und wissen nicht, wo sie stehn,
Die Lampe losch, der Herd verglomm,
Zu hören ist nichts, zu sehen.

»Was ist das für ein Hexenort?
Da bricht uns die Geduld!«
Doch hörten sie kein Sterbenswort,
Des war die Türe schuld.

Den weißen Pudding speisten sie,
Den Schwarzen ganz vertraut;
Und Gutweib sagte sich selber viel,
Doch keine Silbe laut.

Zum anderen sprach der eine dann:
»Wie trocken ist mir der Hals!
Der Schrank, der klafft, und geistig riechts,
Da findet sich's allenfalls.

Ein Fläschchen Schnaps ergreif ich da,
Das trifft sich doch geschickt!
Ich bring es dir, du bringst des mir,
Und bald sind wir erquickt.«

Doch Gutmann sprang so heftig auf
Und fuhr sie drohend an:
»Bezahlen soll mit teurem Geld,
Wer mir den Schnaps vertan!«

Und Gutweib sprang auch froh heran,
Drei Sprünge, als wär sie reich:
»Du Gutmann sprachst das erste Wort,
Nun riegle die Türe gleich!«

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L. Uhland
Graf Eberstein


Zu Speyer im Saale, da hebt sich ein Klingen,
Mit Fackeln und Kerzen ein Tanzen und Springen.
Graf Eberstein
Führet den Reihn
Mit des Kaisers holdseligem Töchterlein.

Und als er sie schwingt nun im luftigen Reigen,
Da flüstert sie leise, sie kann's nicht verschweigen:
»Graf Eberstein,
Hüte dich fein!
Heut nacht wird dein Schlößlein gefährdet sein.«

Ei! denket der Graf, Euer kaiserlich Gnaden,
So habt Ihr mich darum zum Tanze geladen!
Er sucht sein Roß,
Läßt seinen Troß
Und jagt nach seinem gefährdeten Schloß.

Um Ebersteins Feste, da wimmelt's von Streitern,
Sie schleichen im Nebel mit Haken und Leitern.
Graf Eberstein
Grüßet sie fein,
Er wirft sie vom Wall in die Gräben hinein.

Als nun der Herr Kaiser am Morgen gekommen,
Da meint er, es seie die Burg schon genommen.
Doch auf dem Wall
Tanzen mit Schall
Der Graf und seine Gewappneten all.

»Herr Kaiser! beschleicht Ihr ein andermal Schlösser,
Tut's not, Ihr verstehet aufs Tanzen Euch besser.
Euer Töchterlein
Tanzet so fein,
Dem soll meine Feste geöffnet sein.«

Im Schlosse des Grafen, da hebt sich ein Klingen,
Mit Fackeln und Kerzen ein Tanzen und Springen.
Graf Eberstein
Führet den Reihn
Mit des Kaisers holdseligem Töchterlein.

Und als er sie schwingt nun im bräutlichen Reigen,
Da flüstert er leise, nicht kann er's verschweigen:
»Schön Jungfräulein,
Hüte dich fein!
Heut nacht wird ein Schlößlein gefährdet sein.«

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A. Schreiber
Odins Meeresritt

Meister Oluf, der Schmied auf Helgoland,
Verläßt den Amboß um Mitternacht.
Es heulet der Wind am Meeresstrand,
Da pocht es an seiner Türe mit Macht.

"Heraus, heraus, beschlag mir mein Roß,
Ich muß noch weit, und der Tag ist nah!"
Meister Oluf öffnet der Türe Schloß,
Und ein stattlicher Reiter steht vor ihm da.

Schwarz ist sein Panzer, sein Helm und Schild;
An der Hüfte hängt ihm ein breites Schwert.
Sein Rappe schüttelt die Mähne gar wild
Und stampft mit Ungeduld die Erd!

"Woher so spät? Wohin so schnell?"
"In Norderney kehrt ich gestern ein.
Mein Pferd ist rasch, die Nacht ist hell,
Vor der Sonne muß ich in Norwegen sein!"

"Hättet Ihr Flügel, so glaubt ichs gern!"
"Mein Rappe, der läuft wohl mit dem Wind.
Doch bleichet schon da und dort ein Stern.
Drum her mit dem Eisen und mach geschwind!"

Meister Oluf nimmt das Eisen zur Hand,
Es ist zu klein, da sehnt es sich aus.
Und es wächst um des Hufes Rand,
Da ergreifen den Meister Bang und Gras.

Der Reiter sitzt auf, es klirrt sein Schwert:
"Nun, Meister Oluf, gute Nacht!
Wohl hast du beschlagen Odins Pferd;
Ich eile hinüber zur blutigen Schlacht."

Der Rappe schießt fort über Land und Meer,
Um Odins Haupt erglänzet ein Licht.
Zwölf Adler fliegen hinter ihm her;
Sie fliegen schnell und erreichen ihn nicht

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W. Alexis
Der späte Gast


Was klopft ans Tor? Über die rote Heide
geht nur mein Sohn und ich, wir beide.
Wir beide wohnen in der Wildnis allein,
mein Sohn schläft dort im Kämmerlein.
Keinen Kobold laß ich zur Tür herein.
  
»Mutterlein! nimm mich ins kleine Haus,
draußen weht es so kalt, draußen weht es so graus.
Oft schon kreuzt′ ich die rote Heide,
oft schon sahen wir uns beide,
kein Kobold ich, tu nichts zu Liede.«
  
Denn bist du ein Irrwisch und locktest ins Moor
meine Tochter, als ich das Kind verlor.
Im Schilf, das dort am Felsen gränzt,
da tanzt mein Kind, wenn der Mond drauf glänzt,
du magst bei ihm schlafen, du hässlich Gespenst.
  
»Ich kann nicht schlafen auf welkem Gras,
von Tau und Regen ist′s kalt, von Tau und Regen ist′s naß.
Ich bin kein Irrwisch, ich bin dir verwandt,
deine Tochter hab′ ich Schwester genannt
und hab′ sie gewarnt vor des Sumpfes Rand.«
  
Verwandt ist mir niemand, niemand wert,
ich steh′ allein hier an meinem Herd.
Den Fremden empfinge des Hundes Gebell,
dem Blutsfreund, spräng′er entgegen schnell,
nun starrt er zitternd auf eine Stell.
  
»Mutter, der alte Hund kannte bald die Stimme,
die draußen im Dunkel schallt.
Er hatte schon sieben Jahr mich gekannt,
seit ich ihn drüben am Kreuzweg fand.
Mutter, ich bin dir so nah, so nah verwandt.«

Was hast du mich spät in der Nacht geweckt?
Was hast du im Schlummer die Mutter geschreckt?
Was schläfst du nicht ruhig im Kämmerlein?
Was spukest du draußen im Mondesschein?
Mein Sohn kanns ja nur draußen sein.
  
"Mutter, dein Sohn steht draußen nicht,
aber mich brachte dein Schoß ans Licht.
Noch schläft dein Sohn im Kämmerlein,
aber ich schwebe im Mondesschein
und will so gern zu dir hinein."
  
Mein Sohn, du stehst so nahe bei mir,
warum öffnest du selber dir nicht die Tür?
Leicht Flechtwerk ist sie von Elsenwald,
und draußen weht der Wind so kalt,
o komm ins warme Kämmerlein bald!
  
»Mutter, ich stehe sehr weit von dir,
öffnen kann ich nicht mehr die Tür!
Selbst wie der Wind bin ich leicht und schwacht,
komm nie mehr unter dein warmes Dach,
drum gib mir draußen ein kalt Gemach!«
  
Ich öffne geschwind, mein liebes Kind.
Wo bist du? Es saust vorbei der Wind.
»Der Wind weht fort mich, Mütterlein!«
O weh! da liegt im Kämmerlein mein Sohn,
blass wie der Mondenschein.

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J. G. v. Herder
Herr Oluf


Herr Oluf reitet spät und weit,
Zu bieten auf seine Hochzeitsleut;

Da tanzen die Elfen auf grünem Land,
Erlkönigs Tochter reicht ihm die Hand.

"Willkommen, Herr Oluf! Was eilst von hier?
Tritt her in den Reihen und tanz mit mir."

"Ich darf nicht tanzen, nicht tanzen ich mag,
Frühmorgen ist mein Hochzeittag."

"Hör an, Herr Oluf, tritt tanzen mit mir,
Zwei güldne Sporne schenk ich dir.

Ein Hemd von Seide so weiß und fein,
Meine Mutter bleicht's mit Mondenschein."

"Ich darf nicht tanzen, nicht tanzen ich mag,
Frühmorgen ist mein Hochzeitstag."

"Hör an, Herr Oluf, tritt tanzen mit mir,
Einen Haufen Goldes schenk ich dir."

"Einen Haufen Goldes nähm ich wohl;
Doch tanzen ich nicht darf noch soll."

"Und willt, Herr Oluf, nicht tanzen mit mir,
Soll Seuch und Krankheit folgen dir."

Sie tät einen Schalg ihm auf sein Herz,
Noch nimmer fühlt er solchen Schmerz.

Sie hob ihn bleichend auf sein Pferd.
"Reit heim nun zu deine'm Fräulein wert."

Und als er kam vor Hauses Tür,
Seine Mutter zitternd stand dafür.

"Hör an, mein Sohn, sag an mir gleich,
Wie ist dein' Farbe blaß und bleich?"

"Und sollt sie nicht sein blaß und bleich,
Ich traf in Erlenkönigs Reich."

"Hör an, mein Sohn, so lieb und traut,
Was soll ich nun sagen deiner Braut?"

"Sagt ihr, ich sei im Wald zur Stund,
Zu proben da mein Pferd und Hund."

Frühmorgen und als es Tag kaum war,
Da kam die Braut mit der Hochzeitschar.

"Sie schenkten Met, sie schenkten Wein;
Wo ist Herr Oluf, der Bräutigam mein?"

"Herr Oluf, er ritt in Wald zur Stund,
Er probt allda sein Pferd und Hund."

Die Braut hob auf den Scharlach rot,
Da lag Herr Oluf, und er war tot.

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J.W. v. Goethe
Erlkönig


Wer reitet so spät durch Nacht und Wind?
Es ist der Vater mit seinem Kind;
Er hat den Knaben wohl in dem Arm,
Er faßt ihn sicher, er hält ihn warm.

Mein Sohn, was birgst du so bang dein Gesicht? -
Siehst Vater, du den Erlkönig nicht?
Den Erlenkönig mit Kron und Schweif? -
Mein Sohn, es ist ein Nebelstreif. -

"Du liebes Kind, komm, geh mit mir!
Gar schöne Spiele spiel ich mit dir;
Manch bunte Blumen sind an dem Strand,
Meine Mutter hat manch gülden Gewand."

Mein Vater, mein Vater, und hörest du nicht,
Was Erlenkönig mir leise verspricht? -
Sei ruhig, bleibe ruhig, mein Kind;
In dürren Blättern säuselt der Wind. -

"Willst, feiner Knabe, du mit mir gehn?
Meine Töchter sollen dich warten schön;
Meine Töchter führen den nächtlichen Reihn
Und wiegen und tanzen und singen dich ein."

Mein Vater, mein Vater, und siehst du nicht dort
Erlkönigs Töchter am düstern Ort? -
Mein Sohn, mein Sohn, ich seh es genau:
Es scheinen die alten Weiden so grau. -

"Ich liebe dich, mich reizt deine schöne Gestalt;
Und bist du nicht willig, so brauch ich Gewalt."
Mein Vater, mein Vater, jetzt faßt er mich an!
Erlkönig hat mir ein Leids getan! -

Dem Vater grauset's, er reitet geschwind,
Er hält in den Armen das ächzende Kind,
Erreicht den Hof mit Mühe und Not;
In seinen Armen das Kind war tot.

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F. Freiligrath
Prinz Eugen


Zelte, Posten, Werda-Rufer!
Lust'ge Nacht am Donauufer!
Pferde stehn im Kreis umher
Angebunden an den Pflöcken;
An den engen Sattelböcken
Hangen Karabiner schwer.

Um das Feuer auf der Erde,
Vor den Hufen seiner Pferde
Liegt das östreich'sche Pikett.
Auf dem Mantel liegt ein jeder,
Von den Tschakos weht die Feder,
Leutnant würfelt und Kornett.

Neben seinem müden Schecken
Ruht auf einer wollnen Decken
Der Trompeter ganz allein:
»Laßt die Knöchel, laßt die Karten!
Kaiserliche Feldstandarten
Wird ein Reiterlied erfreun!

Vor acht Tagen die Affäre
Hab ich, zu Nutz dem ganzen Heere,
In gehör'gen Reim gebracht;
Selber auch gesetzt die Noten;
Drum, ihr Weißen und ihr Roten!
Merket auf und gebet acht!«

Und er singt die neue Weise
Einmal, zweimal, dreimal leise
Denen Reitersleuten vor;
Und wie er zum letzten Male
Endet, bricht mit einem Male
Los der volle kräft'ge Chor:

»Prinz Eugen, der edle Ritter!«
Hei, das klang wie Ungewitter
Weit ins Türkenlager hin.
Der Trompeter tät den Schnurrbart streichen,
Und sich auf die Seite schleichen
Zu der Marketenderin.

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Th. Fontane
Tom der Reimer


Der Reimer Thomas lag am Bach,
Am Kieselbach bei Huntly Schloß.
Da sah er eine blonde Frau,
Die saß auf einem weißen Roß.

Sie saß auf einem weißen Roß,
Die Mähne war geflochten fein,
Und hell an jeder Flechte hing
Ein silberblankes Glöckelein.

Und Tom der Reimer zog den Hut
Und fiel auf's Knie, er grüßt und spricht:
"Du bist die Himmelskönigin!
Du bist von dieser Erde nicht!"

Die blonde Frau hält an ihr Roß:
"Ich will dir sagen, wer ich bin;
Ich bin die Himmelsjungfrau nicht,
Ich bin die Elfenkönigin!

"Nimm deine Harf und spiel und sing
Und laß dein bestes Lied erschalln,
Doch wenn du meine Lippe küßt,
Bist du mir sieben Jahr verfalln!"

"Wohl! sieben Jahr, o Königin,
Zu dienen dir, es schreckt mich kaum!"
Er küßte sie, sie küßte ihn,
Ein Vogel sang im Eschenbaum.

"Nun bist du mein, nun zieh mit mir,
Nun bist du mein auf sieben Jahr."
Sie ritten durch den grünen Wald
Wie glücklich da der Reimer war!

Sie ritten durch den grünen Wald
Bei Vogelsang und Sonnenschein,
Und wenn sie leicht am Zügel zog,
So klangen hell die Glöckelein.

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Joh. Nep. Vogl
Die verfallene Mühle


Es reitet schweigend und allein
der alte Graf zum Wald hinein.
Er reitet über Stein und Dorn,
zur Seiten schlendert Schwert und Horn.

Und immer düstrer wird die Bahn,
wie raget Fels an Fels hinan.
Zu einer Mühle kommt er da,
doch ist kein Leben fern und nah.

Zerfallen sind die Gänge all,
kein Mühlrad treibt der Wasser Schwall.
Durchs offne Dach der Himmel schaut,
Getrümmer rings und Wucherkraut.

Nur eine Bank erblickt er drin,
drauf setzt der düstre Gast sich hin,
verschränkt die Arme auf der Brust,
und schließt das Auge unbewußt.

Da wird's lebendig um ihn her;
die Werke poltern dumpf und schwer.
Das Wasser braust, es lebt der Hain,
das Mühlrad klappert lustig drein.

Und sieh, mit Säcken ein und aus
kommt Knecht um Knecht durch Saus und Braus;
vom Mühlgang, erst noch leer und wüst,
der Müller freundlich nieder grüßt.

Jetzt fliegt den Steig herab im Sprung
sein Töchterlein, gar frisch und jung,
das Antlitz wie der Himmel klar,
in Flechten tanzt ihr schönes Haar.

Das naht dem Grafen und kredenzt das Glas,
drin flüss'ges Gold erglänzt.
Wohl fühlt da wie in alter Zeit
sein Herz der Liebe Seligkeit.

Und auf das Kind den Blick gewandt,
hin streckt er nach dem Glas die Hand.
Doch wie nach ihm er greift mit Hast,
da ist's nur Luft, was er erfaßt.

Verschwunden ist so Glas als Wein,
der Müller und sein Töchterlein.
Kein Mühlrad geht, kein Wasser braust,
der Wind nur durchs Gebälke saust.

Und wieder auf den Rappen dort
wirft sich der Graf und reitet fort.
Er reitet stumm den Wald entlang
und streift ein Tränlein von der Wang'!

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H. Heine
Der Asra


Täglich ging die wunderschöne
Sultantochter auf und nieder
um die Abendzeit am Springbrunn,
wo die weißen Wasser plätschern.

Täglich stand der junge Sklave
um die Abendzeit am Springbrunn,
wo die weißen Wasser plätschern,
täglich ward er bleich und bleicher.

Eines Abends trat die Fürstin
auf ihn zu mit raschen Worten:
»Deinen Namen will ich wissen,
deine Heimath, deine Sippschaft.«

Und der Sklave sprach: »Ich heiße Mohamet
und bin aus Yemen,
und mein Stamm sind jene Asra,
welche sterben, wenn sie lieben.

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W. Shakespeare
Komm' herbei Tod


Komm herbei, komm herbei, Tod,
Und versenk’ in Cypressen den Leib;
Lass mich frei, lass mich frei, Not,
Mich erschlägt ein holdseliges Weib.
Mein Totenbett mit Eibenblatt
Oh beeilt es

Keine Blum, keine Blum süß,
Sei gestreut auf den schwärzlichen Sarg;
Keine Seel’, keine Seel’ grüß
mein Gebein, wo die Erde es verbarg.
Um Ach und Weh zu wenden ab’,
bergt alleine mich, wo kein Treuer wall’ ans Grab und weine.

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L. Uhland
Der Wirtin Töchterlein


Es zogen drei Bursche wohl über den Rhein,
Bei einer Frau Wirtin, da kehrten sie ein:
»Frau Wirtin, hat Sie gut Bier und Wein?
Wo hat Sie Ihr schönes Töchterlein?« ―

»Mein Bier und Wein ist frisch und klar,
Mein Töchterlein liegt auf der Totenbahr'.«
Und als sie traten zur Kammer hinein,
Da lag sie in einem schwarzen Schrein.

Der erste, der schlug den Schleier zurück
Und schaute sie an mit traurigem Blick:
»Ach, lebtest du noch, du schöne Maid!
Ich würde dich lieben von dieser Zeit.«

Der zweite deckte den Schleier zu
Und kehrte sich ab und weinte dazu:
»Ach, dass du liegst auf der Totenbahr'!
Ich hab' dich geliebet so manches Jahr.«

Der dritte hub ihn wieder sogleich
Und küsste sie an den Mund so bleich:
»Dich liebt' ich immer, dich lieb' ich noch heut'
Und werde dich lieben in Ewigkeit.«

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F. Förster
Der alte Goethe

Als ich ein junger Geselle war, lustig und guter Dinge,
da hielten die Maler offenbar mein Gesicht für viel zu geringe;
dafür war mir manch´schönes Kind
dazumal von Herzen treu gesinnt.

Nun ich hier als Altmeister sitz´,
rufen sie mich aus auf Straßen und Gaßen,
zu haben bin ich, wie der alte Fritz,
auf Pfeifenköpfen und Tassen.

Doch die schönen Kinder die bleiben fern.
O Traum der Jugend! O goldner Stern!

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O.v. Briese
Der letzte Seufzer


Im Abendgolde glänzet zu Bärenburg das Schloß,
da hällt ein alter Schnurrbart mit seinem Kriegertroß.
Der Feldherr steigt vom Roße, tritt in sein Schloß hinein.
Man sagt, er hätt' gezittert. Weiß nicht, wohl könnt' es sein.

Im Sterben liegt die Tochter, die er geliebt vor Allen,
sie kann mit bleichen Lippen kaum
noch »mein Vater« lallen.
Sichtbar beweget faßt er die todeswelke Hand,
dann hat er still und schweigend zum Garten sich gewandt,

am abgeschiednen Orte, da will er einsam beten,
will mit gebeugten Knieen vor Gott, den Vater treten:
»Du alter Feldherr droben, der größ're Heer führt,
als ich in meinem Leben zusammen kommandiert,
viel Schufte kommen vor dich mit feinem Rednerschwalle,
doch mein' ist nicht studiert
mit schönen Klang und Falle.

Im Sturme von Torino, im Kesseldorfer Drange
bin ich dir nicht gekommen, heut' ist mir gar zu bange;
du aber, du verstehest, was Vaterschmerzen sind,
komm' auch so bald nicht wieder!
Laß mir mein liebes Kind.«

Nun schreitet er zum Schloße, vom Glauben aufgerichtet.
Die Tochter ist verschieden, da steht er wie vernichtet!
Man sagt, es sei ihm murmelnd noch dieses Wort entfahren:
»wär' Gott zu mir gekommen, wär' nicht so hart verfahren.«

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H. Fitzau
Der selt'ne Beter


Im Abendgolde glänzet zu Bärenburg das Schloß,
da hällt ein alter Schnurrbart mit seinem Kriegertroß.
Der Feldherr steigt vom Roße, tritt in sein Schloß hinein.
Man sagt, er hätt' gezittert. Weiß nicht, wohl könnt' es sein.

Im Sterben liegt die Tochter, die er geliebt vor Allen,
sie kann mit bleichen Lippen kaum
noch »mein Vater« lallen.
Sichtbar beweget faßt er die todeswelke Hand,
dann hat er still und schweigend zum Garten sich gewandt,
am abgeschiednen Orte, da will er einsam beten,
will mit gebeugten Knieen vor Gott, den Vater treten:

»Du alter Feldherr droben, der größ're Heer führt,
als ich in meinem Leben zusammen kommandiert,
viel Schufte kommen vor dich mit feinem Rednerschwalle,
doch mein' ist nicht studiert
mit schönen Klang und Falle.

Im Sturme von Torino, im Kesseldorfer Drange
bin ich dir nicht gekommen, heut' ist mir gar zu bange;
du aber, du verstehest, was Vaterschmerzen sind,
komm' auch so bald nicht wieder!
Laß mir mein liebes Kind.«

Nun schreitet er zum Schloße, vom Glauben aufgerichtet.
Die Tochter ist verschieden, da steht er wie vernichtet!
Man sagt, es sei ihm murmelnd noch dieses Wort entfahren:
»wär' Gott zu mir gekommen, wär' nicht so hart verfahren.«

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F. Rückert
Das Wunder auf der Flucht


Auf jener Flucht, von welcher nun
Das Morgenland die Jahre zählt,
Als im Gebirg um auszuruhn,
Mohammed hat die Höhl’ erwählt,
Wo Abubeker bei ihm war,
Und vor der Höhle die Gefahr,
Der feindlichen Verfolger Schaar –
Mohammed sprach: Was zitterst du?
Wir sind nicht zwei hier, wir sind drei.
Da kam hernieder Gottesruh,
Gefühl, dass Gott mit ihnen sei.
Sie fühlen Friedensatem weh’n;
Die Feinde vor der Höhle steh’n,
Was hindert sie herein zu gehen?
Die Taube draußen auf dem Stein
Hat in der Nacht ihr Ei gelegt;
Die Spinne hat den Eingang sein
Mit seidnem Vorhang überhegt,
Betrogen sieht’s der Feind und spricht:
Das Ei ist ganz, das Netz ist dicht;
In dieser Höhle sind sie nicht.
In dieser Höhle sind sie doch,
Die Feinde aber gehen vorbei.
Bei Spinn’ und Taube ruh’n sie noch,
Bis draußen sind die Wege frei;
Dann gehen sie hin wohl ausgeruht,
Und danken Gott für treue Hut,
Der groß im Kleinen Wunder tut.

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L. Uhland
Die Überfahrt


Über diesen Strom vor Jahren,
bin ich einmal schon gefahren.
Hier die Burg im Abendschimmer,
drüben rauscht das Wehr wie immer.

Und von diesem Kahn umschlossen,
waren mit mir zween Genossen:
Ach! Ein Freund, ein vatergleicher
und ein junger hoffnungsreicher.
Jener wirkte still hienieden,
und so ist er auch geschieden;
dieser brausend vor uns Allen,
ist in Kampf und Sturm gefallen.

So, wenn ich vergangener Tage,
glücklicher zu denken wage,
muss ich stets Genossen missen,
Teure, die der Tod entrissen.

Doch was alle Freundschaft bindet,
ist, wenn Geist zu Geist sich findet,
geistig waren jene Stunden,
Geistern bin ich noch verbunden

Nimm nur Fährmann, nimm die Miete,
die ich gerne dreifach biete:
Zween, die mit mir überfuhren,
waren geistige Naturen.

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G. Seidl
Die Uhr


Ich trage, wo ich gehe, stets eine Uhr bei mir;
Wieviel es geschlagen habe, genau seh ich an ihr.
Es ist ein großer Meister, der künstlich ihr Werk gefügt,
Wenngleich ihr Gang nicht immer dem törichten Wunsche genügt.

Ich wollte, sie wäre rascher gegangen an manchem Tag;
Ich wollte, sie hätte manchmal verzögert den raschen Schlag.
In meinen Leiden und Freuden, in Sturm und in der Ruh,
Was immer geschah im Leben, sie pochte den Takt dazu.

Sie schlug am Sarge des Vaters, sie schlug an des Freundes Bahr,
Sie schlug am Morgen der Liebe, sie schlug am Traualtar.
Sie schlug an der Wiege des Kindes, sie schlägt, will's Gott, noch oft,
Wenn bessere Tage kommen, wie meine Seele es hofft.

Und ward sie auch einmal träger, und drohte zu stocken ihr Lauf,
So zog der Meister immer großmütig sie wieder auf.
Doch stände sie einmal stille, dann wär's um sie geschehn,
Kein andrer, als der sie fügte, bringt die Zerstörte zum Gehn.

Dann müßt ich zum Meister wandern, der wohnt am Ende wohl weit,
Wohl draußen, jenseits der Erde, wohl dort in der Ewigkeit!
Dann gäb ich sie ihm zurücke mit dankbar kindlichem Flehn:
Sieh, Herr, ich hab nichts verdorben, sie blieb von selber stehn.  

Hjalmur Sighvatsson   -